Die Kegelrobbe
(Halichoerus grypus) ist neben dem Seehund die zweite an deutschen Küsten verbreitete Robbenart
und daneben das größte in Deutschland freilebend vorkommende Raubtier
(bis zu 300 kg). Der Name leitet sich nicht wie weitläufig behauptet von
der kegelförmigen Kopfform der Robbe ab, sondern von der kegelförmigen
Zahnform.
Merkmale
Vom Seehund
unterscheidet sich die Kegelrobbe durch ihre viel massigere Gestalt.
Außerdem haben Seehunde einen rundlichen, Kegelrobben einen eher spitz
zulaufenden Kopf. Die Männchen sind auf dunkelgrauem Grund hell
gefleckt, Weibchen dagegen sind dunkelgrau gefleckt auf silbergrauen
Grund. Jungtiere kommen mit einem weißen Embryonalhaar (Lanugo) zur Welt, das nach etwa fünf Wochen durch normales Fell ersetzt wird.
Mit einer Größe von 230 Zentimetern und einem Gewicht von 220
Kilogramm ist eine männliche Kegelrobbe deutlich größer als ein Seehund,
aber auch als eine weibliche Kegelrobbe (180 cm, 150 kg). Männchen
haben außerdem eine größere Nase als Weibchen. Der Geschlechtsdimorphismus ist nur bei wenigen Hundsrobben so ausgeprägt.
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wenige Wochen alte Kegelrobbe
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vermutlich 5 Monate altes Männchen
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links eine etwa einjährige Kegelrobbe im verschlissenen Fell, rechts ein Seehund
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namensgebendes Gebiss der Kegelrobbe
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weibliche (links) und männliche Kegelrobben (rechts)
Verbreitung
Vorkommen der Kegelrobbe (blau)
Kegelrobben treten in drei voneinander getrennten Populationen auf:
- Die ostatlantischen Kegelrobben leben hauptsächlich an den Küsten Großbritanniens, Irlands, Islands und der Färöer, selten in der Nordsee.
- Die westatlantischen Kegelrobben leben an den kanadischen Küsten von Labrador, Neubraunschweig und Neuschottland.
- Die Ostsee-Kegelrobbe (H. g. balticus) gilt als eigenständige Unterart. Sie war früher in der gesamten Ostsee verbreitet, ist aber durch intensive Bejagung in die nördlichsten Teile (Küsten Schwedens, Finnlands, Lettlands und Estlands) zurückgedrängt worden. Inzwischen kommen aber öfter wandernde – zumeist jüngere – Kegelrobben an die Küsten Polens und Mecklenburg-Vorpommerns und sind regelmäßige Gäste im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sowie dem Greifswalder Bodden, wo ein Bestand von mindestens 30 Tieren festgestellt wurde.
Kegelrobben im Wattenmeer
Im Wattenmeer gibt es mehrere Kolonien mit Jungenaufzuchten: eine bei der westfriesischen Insel Terschelling, auf der Kachelotplate westlich von Juist, eine weitere auf dem Jungnamensand, einer Sandbank westlich der nordfriesischen Insel Amrum. Seit dem Jahr 2001 gibt es auch auf der Düne bei Helgoland
Jungenaufzuchten der Kegelrobbe; auch hier scheint sich eine
Nordsee-Kolonie zu etablieren. Außerhalb der Fortpflanzungszeit halten
sich die Robben dieser Kolonien an verschiedenen Orten innerhalb der
Nordsee auf und vermischen sich dann auch mit Seehunden. Im Winter
trifft man sie zum Beispiel im ostfriesischen Wattenmeer an.
Kegelrobben sind im Wattenmeer, verglichen mit Seehunden, echte
Raritäten. Aus archäologischen Funden weiß man, dass noch im Mittelalter
Kegelrobben und Seehunde gleichermaßen häufig waren, vielleicht sogar
ein Übergewicht zugunsten der Kegelrobbe bestanden hat. Auf den
Jagddruck, der durch Menschen auf die Robben ausgeübt wurde, reagierte
die Kegelrobbe allerdings weit empfindlicher als der Seehund, so dass
sie beinahe vollständig aus dem Wattenmeer verschwand.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte die
allmähliche Rückkehr der Kegelrobben, die an felsigen und unzugänglichen
Küsten der britischen Inseln überlebt hatten. Auch heute könnten nach
der Einschätzung von Zoologen die Kegelrobben im Wattenmeer ohne
beständigen Nachschub aus Großbritannien nicht überleben. Die Geburt
junger Kegelrobben ist heute noch ein höchst seltenes Ereignis. Um den
Nachwuchs vor neugierigen Wattwanderern zu schützen, versuchen die Mitarbeiter der Wattenmeer-Nationalparks, nach Möglichkeit alle bekannt gewordenen Jungtiere zu bewachen beziehungsweise ihre Liegeplätze abzusperren.
Kegelrobben in der Ostsee
Dass
es in der westlichen Ostsee heute abgesehen von einigen verirrten
Einzeltieren keine Kegelrobben mehr gibt, hängt mit einer
Ausrottungskampagne des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammen.
Weil die Fischer der Küsten versicherten, dass wegen der Robben ihre
Existenzgrundlage bedroht sei, wurde für jede getötete Robbe eine Prämie
gezahlt. Bis 1930 wurden der Seehund und die Kegelrobbe in der westlichen Ostsee vollständig ausgerottet.
Von 1998 bis 2000 ließ das Bundesamt für Naturschutz
eine Analyse durchführen, ob eine Wiedereinbürgerung der Kegelrobbe an
deutschen Ostseeküsten möglich ist. Dass die Kegelrobben eigenständig
zurückkehren, ist wegen des ungenügenden Populationsdrucks in ihrer
jetzigen Heimat in der östlichen Ostsee nicht zu erwarten. Zahlreiche
Küstenabschnitte wurden untersucht und mehrere potenzielle Liegeplätze
ausgemacht, zum Beispiel die Halbinsel Wittow (Nord-Rügen) oder die Greifswalder Oie.
Während die Fischer einer Wiederansiedlung weiterhin ablehnend gegenüberstehen, sieht der größte Teil der ansässigen Bevölkerung dem
Projekt wohlwollend entgegen. So stimmte die Gemeindevertretung von Altenkirchen im Oktober 2012 einer Wiederansiedlung zu und spekulierte bereits auf eine künftige Bekanntheit als Kegelrobben-Gemeinde Altenkirchen. Darüber hinaus gab es Pläne, die frühere Insel Stubber, die durch die Entnahme von Baumaterialien unter anderem für den Straßenbau in Greifswald
nur noch bei Niedrigwasser erkennbar ist, durch das Auftragen von Sand
wieder über den Wasserspiegel zu heben. Auf der existierenden Sandbank
leben bereits seit Mitte der 2000er Jahre mehrere Kegelrobben. Trotzdem scheiterte ein Wiederansiedlungsprojekt bisher am Widerstand der Fischer.
Lebensweise
Die Kegelrobben von Nord- und Ostsee sind insofern untypisch, als
diese Art für gewöhnlich felsige Küsten bevorzugt. Außerhalb der
Fortpflanzungszeit wandern vor allem jugendliche Kegelrobben weit umher,
kehren aber offensichtlich immer wieder zu denselben
Fortpflanzungsstätten zurück. Bei ihren bis zu 20 Minuten dauernden
Tauchgängen erreichen Kegelrobben Tiefen von 140 Meter und jagen nach
Fischen. Jede ausgewachsene Kegelrobbe benötigt etwa zehn Kilogramm
Fisch pro Tag. Zu den erbeuteten Fischen gehören Lachse, Dorsche, Heringe, Makrelen und Schollen. Allerdings wurde auch beobachtet, dass Kegelrobben Schweinswale, junge Seehunde und Jungtiere der eigenen Art attackieren und fressen können.
Zur Fortpflanzungszeit finden sich Kegelrobben an den Küsten zu
kleinen Kolonien zusammen. Diese bestehen aus durchschnittlich sechs
Weibchen und einem Männchen. Bei größeren Kolonien gibt es mehrere
Männchen, die jeweils einen Harem zusammenzuhalten versuchen. Ernsthafte
Kämpfe zwischen rivalisierenden Männchen gibt es allerdings nicht, eher
eine ritualisierte Unterwerfung rangniederer Männchen. Die
erfolgreichen Männchen verteidigen bis zu zehn Weibchen mitsamt deren
Jungen und paaren sich mit ihnen, sobald die Jungen entwöhnt sind. Dies
geschieht, wenn die Jungen etwa vier Wochen alt sind.
Die Fortpflanzungszeit variiert mit dem Verbreitungsgebiet. Im
Ostatlantik liegt sie zwischen September und Dezember, im Westatlantik
im Januar und Februar. Die Ostsee-Kegelrobben werfen im Februar und
März. Die Tragzeit beträgt elfeinhalb Monate. Geschlechtsreife wird mit
vier bis fünf Jahren erreicht, Männchen sind aber vor ihrem achten
Lebensjahr nicht stark genug, eine Gruppe von Weibchen zu bewachen. Die
Lebenserwartung beträgt meistens zwanzig Jahre, in Ausnahmefällen über
45 Jahre.
Gefährdung und Schutz
Kegelrobben
waren für Robbenjäger nur von geringem kommerziellen Interesse; viele
wurden aber von Fischern getötet, die sie als Konkurrenz empfanden.
Inzwischen sind sie in den meisten Ländern geschützt; die Bestände sind
auf etwa 100.000 Kegelrobben im östlichen Atlantik angewachsen. 40
Prozent des weltweiten Kegelrobben-Bestands leben an den Küsten Großbritanniens.
Der Weltbestand der Kegelrobben wird von der Weltnaturschutzunion IUCN in ihrer Roten Liste mit "nicht gefährdet" (Least Concern) angegeben. Die Bundesrepublik Deutschland stellt diese Robbenart in der nationalen Roten Liste
in Kategorie 2 und beurteilt sie damit als sehr gefährdet. Das Land
Schleswig-Holstein stellt sie in ihren Roten Listen als gefährdet dar;
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sehen sie als gefährdete
Wandertiere ihrer Region.
Unter Schutz gestellt wird die Kegelrobbe durch die Berner Konvention des Europarates, die sie in Appendix III stellt und damit als streng geschütztes Wildtier kennzeichnet, das nur ausnahmsweise genutzt werden darf.
Die Europäische Union übernimmt diese Diktion über die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Nr.92/43/EWG bzw. der Neufassung Nr. 2006/105/EG, Anhang V. Zusätzlich wird die Kegelrobbe wie alle Arten der Gattung Phocidae in Anhang II gestellt, wodurch die Einrichtung von Schutzgebieten gefordert wird.
In der Bundesrepublik Deutschland wird die Robbenart im Bundesnaturschutzgesetz als besonders geschützt bezeichnet.
Insbesondere die Entwicklung bei der Unterart der Ostsee-Kegelrobben
erregt Besorgnis. Am Ende der 1980er-Jahre war der Bestand auf 1500
Tiere gefallen. Neben der Verfolgung durch den Menschen kam als Ursache
hier die Einleitung von Giften wie DDT
hinzu. In den 1990er-Jahren begann der Bestand in der Ostsee durch
strenge Schutzmaßnahmen und geringeren Verschmutzungsgrad wieder
anzusteigen. Im Jahr 2000 gab es in den nördlichen und östlichen
Bereichen der Ostsee wieder etwa 15.000 Kegelrobben. Aufgrund einer
durchschnittlichen Bestandsvergrößerung von 8 % pro Jahr wurde die
Population 2005 auf 22.000 Exemplare geschätzt. An mehreren Stellen wurden Schutzzonen eingerichtet bei denen absolutes Besuchsverbot besteht. In Schweden und Finnland kommt es fortwährend zu Problemen bei Fischern, deren Reusen durch Kegelrobben beschädigt werden. Die jährlichen Verluste werden allein in Schweden auf 50 Millionen Kronen beziffert. Deshalb erlaubten die Naturschutzbehörden dieser Länder eine begrenzte Kegelrobbenjagd von jährlich etwa 200 Tieren. Zusätzlich zu den Schutzbestimmungen der Nominalart wird die Unterart der Ostsee-Kegelrobbe durch Listung in Anhang II der Bonner Konvention CMS,
dem Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten,
unter Schutz gestellt. Hier wird festgehalten, dass zur Erhaltung der
Art internationale Zusammenarbeit erforderlich ist.